Nachtflug beim TaktLwG 74 in Neuburg

In den letzten beiden Januarwochen wurde es in den frühen Abendstunden wieder laut in Neuburg. Denn das taktische Luftwaffengeschwader (TaktLwG) 74 übte den Nachtflug. Die Nachtflugwochen finden hauptsächlich in den Wintermonaten statt. Aber auch im Sommer wird trainiert, dann jedoch schon in der Abenddämmerung, um die Lärmbelästigung nicht zu sehr in die Nacht zu verlagern.

Da im Ernstfall Einsätze aufgrund der besseren Tarnung überwiegend im Schutz der Dunkelheit geflogen werden, ist es wichtig, Flüge in der Nacht zu trainieren. Das meiste kann im Simulator geübt werden. Doch dieser kann keine G-Kräfte simulieren. Gerade diese jedoch machen den Nachtflug besonders anspruchsvoll. Im Zusammenspiel mit nicht vorhandenen visuellen Referenzen aufgrund absoluter Dunkelheit darf man sich auf sein Gleichgewichtsorgan im Ohr nicht mehr verlassen und muss zu 100% den Instrumenten vertrauen. „Anders als beim normalen IFR-Nachtflug werden im Einsatztraining Fluglagen mit Anstellwinkeln von +/-60° sowie Querneigewinkel von bis zu 145° geflogen. Das stellt an die Piloten eine viel höhere Anforderung“, erzählt Ronny S., Oberstleutnant und Staffelkapitän der 2. fliegenden Staffel des TaktLwG 74.

Oberstleutnant Ronny S. war einer der Piloten, die beim Nachtflugtraining Ende Januar teilnahmen. Etwa zweieinhalb Stunden vor dem Start trafen sich die Piloten zum gemeinsamen Wetter- und NOTAM-Briefing. Danach ging es weiter zum Missionsbriefing. Zur gleichen Zeit bereitete das Personal der Wartungsstaffel die fünf bis acht teilnehmenden Eurofighter in den jeweiligen Sheltern vor. Die sog. Vorfluginspektion dauert in der Regel eine Stunde. Dabei sind jedem Eurofighter zwei Mann/Frau vom Wartungspersonal zugeordnet. Sie werden auch Flightliner genannt.

Durch einen zuvor erstellten Flugplan wissen sie, welche Umbauten notwendig sind und wie die Jets bestückt werden müssen. Während des zweiwöchigen Trainings war unter der rechten Tragfläche ein Flugdatenschreiber (Flight Profile Recorder) und unter der linken ein infrarotgesteuerter Lenkflugkörper vom Typ IRIS-T montiert. Letzterer ist in der Lage, fliegende Ziele in bis zu 25km Entfernung zu erfassen und zu bekämpfen. Im Training wurde aber ohne scharfen Sprengkopf in diesem geflogen, sodass die Piloten sicher trainieren und dennoch mit den Eigenschaften eines echten Suchkopfes üben konnten. Zusätzlich waren noch zwei Zusatztanks montiert. Bei einem Fassungsvermögen von je 1000kg Treibstoff erhöht sich die Reichweite bei normalen Fluggeschwindigkeiten damit um etwa 40 Minuten. Im Notfall können diese Tanks auch abgesprengt werden. Während der Vorfluginspektion wurde alles genauestens nach Checkliste überprüft.

Etwa 40 Minuten vor dem geplanten Start begaben sich die Piloten zu ihren Jets und bereiteten sich dort auf den Abflug vor. Die Triebwerke werden bereits im Shelter gestartet. Zu umständlich und zeitintensiv wäre es, die Maschinen mit einem Schlepper vor den Shelter zu ziehen. Auf der Hinterseite der Schutzbauten werden dazu Tore geöffnet, um den Abgasstrahl nach draußen zu leiten.

Nachdem auch bei laufenden Triebwerken alle Checks durch die Wartungsstaffel erfolgreich abgearbeitet waren, rollten die Eurofighter selbstständig aus den Sheltern. Nächste Station war die sog. „Last Chance“ kurz vor der Startbahn. Dort wurden die Maschinen bereits von zwei weiteren Flightlinern erwartet und auf die jeweiligen Checkpositionen gelotst. Insgesamt gibt es vier dieser Positionen, jede von ihnen mit 18 Bodenlampen bestückt, welche die Jets von unten anstrahlen.

Es ist Vorschrift, dass der letzte Check vor dem Start nahe der Startbahn zu erfolgen hat. Durch eine  kurze verbleibende Rollstrecke bis zum Startpunkt will man das Risiko minimieren, dass auf dem Rollweg liegende mögliche Fremdkörper in die Reifen eingefahren werden. So liegt bei der Last Chance ein besonderes Augenmerk auf den Reifen. Zudem wird überprüft, ob alle Safety Pins entfernt, alle Geräte geschärft wurden und alle Deckel verschlossen sind. Ebenfalls wird nach möglichen Öl- und Spritleckagen gesucht. Ein weiterer Check beinhaltet die Funktion der Formationslichter. Das sind drei hellgrüne Leuchtstreifen auf jeder Seite der Jets, einer jeweils unterhalb des Cockpits, einer entlang der Vorderkante des Leitwerks und einer an der Tragflächenspitze. Sie sollen es den Piloten bei absoluter Dunkelheit erleichtern, in Formation zu fliegen und die Position des jeweiligen Flügelmanns zu erkennen. „Beim Formationsflug betragen die vertikalen Abstände zum Nachbarn lediglich wenige Meter, lateral sogar nur einen Meter. Gerade bei schlechter Sicht wären die reinen Positionslampen an den Tragflächenspitzen nicht ausreichend, um eine sichere Formation zu gewährleisten“, erklärt Oberstleutnant Ronny S.

Die Wartungsstaffel arbeitet nach dem 4-Augen-Prinzip. Erster Check im Shelter, zweiter auf der Last Chance. Dabei führt lediglich ein Flightliner den Check durch. Der andere sichert, immer mit Blickkontakt zum Piloten. Er ist es, der dem Piloten signalisiert, ob er z.B. ein Stück vorrollen soll oder wann er die Hände vom Steuer nehmen muss und nichts einschalten darf, um den unter dem Jet befindlichen Mechaniker nicht zu gefährden.

Nach den Checks auf der Last Chance rollten die Eurofighter entweder alleine oder im Team zur Startbahn und starteten. In der Regel wird aus Lärmschutzgründen auf den Nachbrenner verzichtet. Aber von Zeit zu Zeit muss auch das geübt werden. Dabei kommt es aber immer auf die Mission an und wie viel Treibstoff für den jeweiligen Flug benötigt wird. Ein solcher Start muss auch immer vom Flugdienstleiter genehmigt werden.

Wird aber einmal mit Reheat, wie der Nachbrenner bei den Mechanikern genannt wird, gestartet, ist dies ein beeindruckendes Spektakel. „Wenn die gleißend helle Flamme kurz vor dem Abheben den Boden der Startbahn küsst, das sind besondere Momente, wo man selbst nach 14 Jahren Dienstzeit immer noch faszinierend hinschaut“, schwärmt Peter K., Flightliner bei der Wartungs- und Waffenstaffel.

Zu den Eurofighter des regulären Nachtflugtrainings gesellten sich auch täglich zwei Maschinen der Alarmrotte, der sogenannten QRA (Quick Reaction Alert). 15 Minuten vor den geplanten Starts ertönte ein lautes Alarmhorn auf dem Fliegerhorst: die unüberhörbare Alarmierung der QRA. Es gibt die Vorgabe der NATO, dass die QRA nach spätestens 15 Minuten ab Alarmierung in der Luft sein muss. Auch das wurde während der zwei Wochen trainiert. Im Ernstfall startet die QRA immer mit Nachbrenner. Beim Training wird darauf verzichtet.

Kurz nach 19.00 Uhr waren alle Eurofighter in der Luft. Sie flogen in die TRA (Temporary Reserved Airspace) ED-R 107-407, ein extra für die Luftwaffe eingerichtetes Luftkampftrainingsgebiet westlich von Augsburg in einer Höhe von FL100 bis 660. Geübt wurde das taktische Fliegen (vier Eurofighter gegen mehrere Gegner). „Das ist das Herausfordernste, was es gibt. Denn es befinden sich bei sehr hohen Fluggeschwindigkeiten vier eigene Jets plus Gegner auf engstem Luftraum. Da darf man den Überblick nicht verlieren“, erklärt Oberstleutnant Ronny S. Weiter auf dem Programm standen „Basic fighter maneuvers“ (BFM), der klassische Nahkampf 1:1. Überschallflug wird nur alle paar Wochen trainiert, um die Lärmbelastung für die Bevölkerung wegen des Überschallknalls möglichst gering zu halten.

Des Weiteren bereiteten sich die Piloten mit verschiedenen Übungen auf ihre bevorstehende Verlegung nach Lettland vor. Denn das TaktLwG 74 unterstützt im Zeitraum von März bis Dezember die drei baltischen Staaten im Rahmen der NATO-Mission „Verstärkung Air Policing Baltikum“ (VAPB). Dabei werden fünf bayerische Eurofighter auf der lettischen Luftwaffenbasis Lielvarde stationiert und übernehmen dort die Aufgaben der QRA. Im Rahmen der Nachtflugübungen wurde z.B. das Fliegen und Abfangen gegnerischer Flugzeuge mit Nachtsichtbrille geübt. Bei völliger Dunkelheit müssen die Piloten in der Lage sein, ein mögliches Ziel nicht nur abzufangen, sondern auch zu identifizieren und zu überprüfen, welche Waffen und Außenlasten an diesem montiert sind. So etwas geht nur mit Nachtsichtbrille.

Geflogen wird in Neuburg bei fast jedem Wetter. Einzig bei extremer Vereisung werden die Flüge eingestellt. Denn der Eurofighter hat kein eigenes Anti-Ice-System, wie es in Verkehrsflugzeugen verbaut ist. De-icing wird hier durch verschiedene Fluggeschwindigkeiten geregelt. Je schneller man fliegt, desto wärmer wird es an den eiskritischen Flächen durch Luftreibung. Das geht aber nur bis zu einer mittelstarken Vereisung. Ein weiterer limitierender Faktor ist die Sichtweite bei der Landung. In Neuburg sind IFR-Landungen bis zu einer Entscheidungshöhe von 200ft über der Schwelle möglich. Hat der Pilot bei 200ft keinen Sichtkontakt zur Landebahn, muss am Ausweichflugplatz gelandet werden.

Wurde viel Nahkampf oder mit Nachbrenner geflogen, verkürzte sich die Trainingszeit bei der ersten Nachtflugübung des Jahres auf lediglich 45 Minuten. War jedoch ein Tanker (meist ein A330MRTT der Royal Netherlands Air Force) vor Ort, verlängerte sich die Flugzeit auf zwei bis drei Stunden. Durchschnittlich fanden sich die Jets nach etwa eineinhalb Stunden Training wieder zur Landung in Neuburg ein. Ein paar der Piloten machten ein Touch & Go vor der finalen Landung. Denn um die Lizenz zu erhalten, braucht jeder Eurofighterpilot nicht nur vier reale Nachtflugstunden außerhalb des Simulators, sondern auch sechs Nachtlandungen. Des Weiteren gibt es die Regelung, dass man innerhalb von 9 Monaten mindestens zwei Nachtlandungen gemacht haben muss. Schafft man das nicht, muss im Doppelsitzer mit Fluglehrer nachgeschult werden. Um das zu vermeiden, bedienen sich die Piloten manchmal eines Touch & Go‘s, was als Landung zählt.

Nach der Landung parkten die Eurofighter vor ihren jeweiligen Sheltern. Nun kümmerte sich wieder die Wartungsstaffel um die Jets. Bei noch laufenden Triebwerken klinkten sich die Mechaniker in den Funk mit dem Piloten ein. Meldeten diese irgendwelche Probleme, konnten es die Mechaniker sofort an die Spezialisten weitermelden oder gleich selbst die Störungsbehebung initialisieren. Steuerflächen und Fahrwerk wurden auf Leckagen überprüft, denn solange die Triebwerke noch laufen, herrscht ein Anlagendruck von 280 bar und ein Leck wird leicht sichtbar. Ebenso auf der Checkliste standen die Elektrik und Lichter, welche somit noch im Betrieb überprüft werden können. Als letztes wurde noch der Wartungscomputer ausgelesen, bevor der Pilot die Triebwerke abschaltete und das Schleppfahrzeug den Jet zurück in den Shelter schob. Dort begann für die Wartungsmannschaft nun die eigentliche Nachfluginspektion. Da die NATO für die QRA dafür ein Zeitlimit von einer Stunde festgesetzt hat, in welcher ein Eurofighter „umgedreht“, also für nächsten Flug bereit sein muss, hat sich dieser Zeitrahmen bei der Nachfluginspektion auch bei allen anderen Flügen etabliert.

Nach dem Aussteigen begaben sich die Piloten zurück zum Staffelgebäude. Dort hatten sie einen kurzen Moment Zeit, um etwas zu essen und sich zu stärken, bevor es zur Nachbesprechung ging. In dieser wurde alles genauestens analysiert und besprochen. Alle Daten und jeder Bildschirm im Eurofighter wurden aufgezeichnet und im Debriefing besprochen. Daher dauerte es im Schnitt mindestens eineinhalb bis zwei Stunden, bis die Piloten ihren Dienst beenden konnten.

Die Anforderungen an die Piloten und Bodencrews sind sehr hoch. Doch das zahlt sich aus. Im Jahr 2015 bekam der Fliegerhorst Neuburg den Flugsicherheitspreis für 15 unfallfreie Jahre verliehen. Und auch bis heute hat sich kein Unfall ereignet.

Nach dem erfolgreich abgeschlossenen zweiwöchigen Training wurde es in den darauffolgenden Wochen in Neuburg wieder still in den Abendstunden. Aber es wird nicht lange dauern, bis die nächsten Nachtflugwochen anstehen, um die Piloten und Bodenmannschaft für den Ernstfall zu trainieren.

 

Dieser Artikel erschien erstmals in der Flug Revue online.